Frauen erleben Beschimpfungen im Netz in anderer Quantität und Qualität. Das gilt auch für JournalistInnen. Für das „OnTheLine“-Projekt haben wir fünf junge Frauen getroffen, die in Österreich journalistisch arbeiten und mit ihnen über ihre Erfahrungen mit Reaktionen gesprochen, die weit über sachliche Kritik hinausgehen. Teilgenommen haben Verena Bogner (Broadly), Teresa Havlicek (Wienerin), Solmaz Khorsand (Wiener Zeitung), Oona Kroisleitner (Der Standard) und Olja Alvir, die als freie Journalistin arbeitet.
Zwei Schlüsse ziehen sich ganz klar durch alle Gespräche. Erstens sind die Beschimpfungen, vor allem wenn sie die Journalistinnen in den sozialen Netzwerken ungefiltert treffen, außerordentlich invasiv. Zweitens hängen Qualität und Quantität der Beschimpfungen sehr stark von der Themenwahl ab. Alle befragten Journalistinnen geben an, jeweils im Vorfeld zu wissen, ob ein Artikel besonders kontrovers ist und viele Reaktionen hervorrufen wird.
Besonders zwei Themenbereiche rufen heftige Reaktionen hervor: Berichte zur Flüchtlingsthematik und feministische Themen. Alles, wo es „um Frauen geht, und wo man sich als Frau das Recht herausnimmt, eine Meinung zu haben“, sagt Bogner. Vor allem die Verbindung von Flüchtlings- und Feminismusthemen sei besonders heikel. Die Benachteiligung von Frauen, auch die bloße Feststellung, dass Phänomene wie Flucht Frauen anders betreffen oder Sexismus auch unter autochonen Österreichern verbreitet sei, emotionalisiert sehr stark. Laut den befragten Journalistinnen hat das durch die Flüchtlingskrise und den österreichischen Präsidentschaftswahlkampf eher noch zugenommen.
Die Qualität der Beschimpfungen variiert mit dem Kanal und auch der Leserschaft. In Leserbriefen oder im Forum auf derstandard.at, das über ein Filtersystem verfügt, werden die Beschimpfungen zwar persönlich, verzichten aber auf Schimpfwörter oder Drohungen. „Die Leser stellen die Frage, ob ich ein verwöhntes Gör sei, dass ich mich mit solchen Problemen beschäftige“, erzählt Kroisleitner. Oder es wird mit Codes gearbeitet: Der Vorwurf der „Frustration“ wird Feministinnen sehr schnell gemacht und steht dabei meist für sexuelle Frustration. Die befragten Journalistinnen berichten, dass bestimmte LeserInnen immer wieder ihren (vermeintlichen oder realen) Migrationshintergrund oder persönliche Dinge aus ihrer Vergangenheit thematisieren, die sie nach Meinung der BeschwerdeführerIn davon abhalten würde, objektiv über ein Thema zu berichten. Auch sei der Grad der Beschimpfungen vom Wissen der LeserInnen über die Autorin abhängig: Wenn ein Foto bei einem Artikel zeige, dass die Autorin eine junge Frau sei, seien die Reaktionen ganz andere und gingen schnell in die „Tussi“- oder „junges Ding“-Richtung.
Vor allem in den sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter sind die Kommentare wenig zurückhaltend. „Ich habe manchmal das Gefühl, dass sich die User auf Facebook gegenseitig sogar anstacheln“, sagt Bogner. Die Bandbreite der Beschimpfungen geht von der Aberkennung der Kompetenz über Kritik an der körperlichen Erscheinung bis hin zu „Du Nutte, geh sterben“. Beim Flüchtlingsthema kommt auch immer wieder die implizite Drohung „Ihr solltet mal von einem Flüchtling vergewaltigt werden“ oder der Vorwurf, man werde als Frau schon sehen, was man davon habe. Gerade der Konjunktiv, die indirekten Drohungen seien schwieriger zu handeln, weil sie in den sozialen Medien auch nach Meldung oft nicht verschwinden würden.
Besonders heftig seien die Reaktionen auf Themen wie Flüchtlinge oder rechte Politik dann, wenn die Artikel über den Kreis der üblichen Leserschaft hinaus reichen oder in Foren und Medien der rechten Szene darauf aufmerksam gemacht würde. Immer wieder wird in diesem Zusammenhang unzensuriert.at, eine Webseite mit FPÖ-Nähe, genannt. Als die Wienerin die Haltung von Norbert Hofer zum Thema Abtreibung thematisierte, schrieb Unzensuriert einen Artikel mit dem Titel „Hysterisches Frauenmagazin kontert Hofer“.
„Da kam ein riesiger Schwall an Beschimpfungen“, erzählt Havlicek. „Vor allem von Männern, die sonst nie unter unseren Artikeln diskutieren.“
Auch Alvir erzählt von mehreren Fällen, wo Unzensuriert ihre Person zum Thema machte, was die Quantität der Beschimpfungen kurzfristig enorm erhöhte.
Die Beschimpfungen werden als invasiv empfunden, vor allem in den Phasen, wenn ein besonders kritischer Artikel erschienen ist. Vor allem, wenn die Option, den Reaktionen auszuweichen, begrenzt ist. Weil sie per Privatnachricht oder auf Twitter kommen oder weil die Communitybetreuuung und die Redaktion nicht getrennt ist und die Journalistinnen so gezwungen sind, alle Reaktionen zu ihren eigenen Artikeln oder denen von Kolleginnen zu lesen. Zusätzlich wird auch der Angriff auf ProtagonistInnen von Geschichten als Angriff auf sich selbst empfunden.
Die Onlinebeschimpfungen haben laut Selbsteinschätzung keinen direkten Einfluss auf die Themenwahl und den Output der befragten Journalistinnen. Zumindest nicht im Sinne einer Selbstzensur. Eher trete eine „Jetzt erst recht“-Haltung auf, nach der die heftigen Reaktionen ein Beweis dafür seien, dass es richtig sei, die Themen zu behandeln. Es sei allerdings schwierig, eventuell auftretende unbewusste Selbstbeschränkungen zu erfassen. „Die Reaktionen der UserInnen laufen im Hintergrund immer mit“, sagt Havlicek. Über manche Formulierungen denke man deshalb zumindest deutlich länger nach.
Bei den befragten JournalistInnen unterscheidet sich nicht nur der Grad, wie stark die Beschimpfungen empfunden werden, sondern auch die Mechanismen, wie man damit umgeht. „Es gibt keinen ‘richtigen’ Weg, mit Beschimpfungen umzugehen“, erzählt Alvir. Man könne auch keine immergültigen Ratschläge geben, weil nicht nur jeder Mensch anders sei, sondern auch jeder mögliche „Shitstorm“ eine eigene Dymanik habe.
Erste AnsprechpartnerInnen sind für alle befragten Journalistinnen die KollegInnen, vor allem die, die unter ähnlichen Problemen leiden. Der offene Umgang in der Redaktion hilft dabei, die Beschimpfungen nicht zu sehr an sich heran zu lassen. Als positiv wird vielfach die Möglichkeit empfunden, sich nur bei Bedarf mit extrem negativen Reaktionen auf die eigene Arbeit zu beschäftigen. Im analogen Bereich filtert vielfach das Sekretariat oder die Ressortleitung die schlimmsten Leserbriefe heraus. Ähnliche Möglichkeiten gibt es auch digital: Bei derstandard.at haben die AutorInnen zum Beispiel die Möglichkeit, die Postings zu lesen (auch die, die gar nicht erst frei geschaltet wurden), müssen es aber nicht. Als problematisch wird empfunden, dass es zwar je nach Größe und Problembewusstsein des Unternehmens Mechanismen gibt, die Journalistinnen im Vorfeld von Beschimpfungen abzuschirmen, aber meist keine zentrale AnsprechpartnerIn, die offen kommuniziert als Schaltstelle gilt, falls es zu Problemen mit Onlinebeschimpfungen kommt.
Manche der befragten JournalistInnen haben gute Erfahrung mit der eigenständigen Thematisierung von Beschimpfungen gemacht. Sie veröffentlichen Screenshots von besonders extremen Fällen auf ihren Privatprofilen. Einerseits, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Anderseits aber auch, um einen gewissen seelischen Ballast los zu werden. „Da ist schon eine gewisse Erleichtung“, sagt Bogner. „Ich würde nicht sagen Genugtuung, aber es macht mich schon ein bisschen zufrieden.“ Auch Alvir erzählt, dass sie früher immer wieder ihre Audience auf besonders schlimme Beschimpfungen auf Twitter aufmerksam gemacht und zum Melden aufgerufen habe. Auch kleine Gesten von Solidarität und Ermutigung werden von den befragten Journalistinnen als positiv empfunden, egal ob sie auf dem eigenen Profil oder unter einem Artikel geäußert werden.
Es fällt auf, dass viele der befragten Journalistinnen auf irgendeine Weise ihren Auftritt in den sozialen Netzwerken eingeschränkt haben. Olja Alvir hat seit Jahren kein privates Facebookprofil mehr und auch die Einstellungen auf Twitter so verändert, dass sie nur noch Reaktionen von Leuten sieht, denen sie auch folgt. „Es ist mir irgendwann zu viel geworden, ich wollte den toxischen Einfluss auf meinen Alltag nicht mehr“, erzählt sie. Teresa Havlicek verzichtet bewusst weitgehend auf Twitter, und Oona Kroisleitner hat ihre Facebookeinstellungen sukzessive so verändert, dass sie immer weniger Reaktionen von Menschen, mit denen sie nicht befreundet ist, erreichen. Das wird teilweise als Selbstermächtigung empfunden, hat aber den Nachteil, dass bestimmte Stimmen in Teilen der Debatte nicht mehr oder nur leiser vorkommen.