Im Vorfeld der österreichischen Wahlen zum Bundespräsidenten am 4. Dezember sehen sich die Anhänger eines Kandidaten Anschuldigungen ausgesetzt, Online-Übergriffe auf Journalisten zu verüben. Die Wahl ist ohnehin alles andere als Routine: Die Kandidaten der Volksparteien schafften es nicht in die Stichwahl und schieden im ersten Wahlgang im April aus. Übrig blieben ein nominell Unabhängiger und ein Mitglied der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ).

Der unabhängige Kandidat Alexander Van der Bellen, ehemals Vorsitzer der Grünen, besiegte seinen Gegenkandidaten Norbert Hofer im Mai um Haaresbreite. Das Ergebnis wurde allerdings vom Verfassungsgericht aufgrund von Irregularitäten aufgehoben. Der zunächst für den 2. Oktober angesetzte erneute zweite Wahlgang wurde wegen Problemen mit den Wahlkarten auf Dezember verschoben.

Im Wahlkampf wurden immer wieder Vorwürfe laut, die FPÖ würde auf ihren starken Social-Media-Kanälen kritische Journalisten gezielt angehen und diese dadurch den Beschimpfungen ihrer Anhänger – angefangen von einfachen Beleidigungen bis hin zu impliziten und expliziten Drohungen – aussetzen.

Um diese Anschuldigungen zu überprüfen, hat das International Press Institute (IPI) von Anfang September bis Mitte Oktober eine Case Study durchgeführt. Es zeigte sich, dass die gesonderte Kritik an einzelnen JournalistInnen seitens FPÖ-PolitikerInnen– auch wenn sie fair und im Rahmen der freien Meinungsäußerung blieb – gewalttätige und beleidigende Reaktionen der UserInnen nach sich zog.

Die digitale Kommunikationsstrategie der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) gilt gemeinhin als die beste der österreichischen Parteien. Die FPÖ hat in den sozialen Netzwerken starke Marken aufgebaut und bringt damit und mit eigenen Medien wie FPÖ TV auf Youtube die eigene Message ohne den Filter unabhängiger Medien in die Öffentlichkeit. Im Politometer-Ranking, das für PolitikerInnen einen Social-Media-Score aus ihren Social-Media-Accounts errechnet, gehören vier der Top 10-PolitikerInnen zu den Freiheitlichen.

Die freiheitlichen Politiker nutzen Facebook aber nicht nur, um Links, Videos oder Live-Streams zu kommunizieren, sondern auch um Kritik an politischen GegnerInnen oder auch AkteurInnen zu üben, die nicht dem direkten Politbereich zuzuordnen sind. Darunter auch JournalistInnen.

Die FPÖ verkauft sich selbst als die Underdogs, die in einem Spannungsverhältnis zum „System“ stehen. Diesem Narrativ folgend ist das Verhältnis zwischen der FPÖ und professionellen JournalistInnen gespannt, aber auch ambivalent: FPÖ-PolitikerInnen nehmen an Diskussionsrunden in ORF und dem Privatfernsehen teil, geben den meisten Online/Printmedien Interviews, fallen aber auch immer wieder mit massiver Kritik an „Systemmedien“ im allgemeinen und bestimmten Medien oder JournalistInnen im Speziellen auf. Diese Kritik findet oft auf ihren Facebookchannels statt.

Teil der Strategie ist es, die Medien als Teil des Systems darzustellen, das man angibt zu bekämpfen. Auch andere Parteien sind gegenüber Medien gegenüber kritisch eingestellt. In der TV-Sendung „Klartext“ antwortete Bundeskanzler Kern auf inhaltliche Fragen immer wieder mit Sätzen wie „Das interessiert doch nur die politischen Beobachter, nicht die, die Politik machen wollen“. Aber die Kritik anderer Parteien ist selten aggressiv und personalisiert. Vielen davon passiert darüber hinaus im Dunkeln und am Telefon. Die FPÖ ist die einzige Partei, die einzelne JournalistInnen gezielt auf Facebook vor Publikum angeht.

Die Case Study

Die Daten wurden im Zeitraum von Anfang September bis Mitte Oktober 2016 erhoben. Die Case Studykonzentrierte sich vor allem auf die Facebookpage von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, dieeine zentrale Rolle in der digitalen Strategie der FPÖ einnimmt. Auch, weil sie dazu genutzt wird, die wichtigen Postings anderer FPÖ-Seiten zu teilen und damit deren Reichweite zu erhöhen. Die verifizierte Page hat mit Stand Ende Oktober über 430.000 Fans. Das sind mehr als fünf Mal so viele wie die knapp 78.000 Fans der offiziellen Fanpage der FPÖ.

Die Case Study erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Abgrenzung, wo legitime Kritik aufhört und Beschimpfung beginnt, ist nicht immer leicht. Des Weiteren wurden Postings, die sich kritisch mit Social-Media-Aktivitäten von JournalistInnen auseinandersetzen und nur peripher mit deren professioneller Arbeit zu tun haben, nicht berücksichtigt.

Im fraglichen Zeitraum setzte „HC Strache“ zehn Postings ab, die einen Journalisten oder eine Journalistin (in einem Fall zwei) gezielt und gesondert angingen. Insgesamt wurden im fraglichen Zeitraum 92 Fälle von klaren Beleidigungen und Drohungen gegenüber JournalistInnen in Kommentaren auf Straches Facebook-Page identifiziert. Diese Zahl erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ebenfalls unklar ist, ob Kommentare gelöscht wurden.

Von diesen 92 Fällen wurden 86 als „abusive behaviour“, also im Wesentlichen beleidigende Aussagen gegenüber einer Person oder ihrer körperlichen Erscheinung, bewertet. Sechs waren implizite oder explizite Drohungen, die – wie einige der Beleidigungen auch – bei einer entsprechenden Anzeige auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen könnten.

IPI hat versucht, die FPÖ für einen Kommentar zu erreichen. Die Partei zog es vor, an sie gestellte Fragen nicht zu beantworten.


Graphic 1. Data: IPI Ontheline Database. Graphic wurde mit Google Fusion Tables erstellt.

Die Kommentare unter den Postings gingen sehr stark in die Richtung von voreingenommen, parteinahen „Systemmedien“, die der FPÖ gegenüber feindlich eingestellt seien. Dieses Narrativ wird auch immer wieder in den Postings selbst bedient („Armin Wolf betreibt als ‘Journalist’ Politik gegen die FPÖ“).

Die Beschimpfungen unter den Postings selbst reichten von impliziten und expliziten Drohungen („Frau Thurnher bekommt auch noch mal die Rechnung präsentiert“, „merkt euch dieses Gesicht, prägt es euch ein“, „wo die hingehören wissen wir …’Verbrechen gegen das eigene Volk’ sollten in Europa riguros und mit aller Härte bestraft werden“) über Infragestellen der geistigen Gesundheit („Der ist ein Fall für den Psychiater“, „Sie braucht bald fachärztliche Unterstützung“) bis zu simplen Kommentaren über die äußere Erscheinung („Hat die Frau schon mal in den Spiegel geschaut? Sie ist hässlich wie die Nacht!“).

Die Postings wurden des Öfteren auch von anderen, reichweitenstarken FPÖ-nahen Seiten geteilt und damit weiter verbreitet. Sie reichten vom Teilen eines Artikels der FPÖ-nahen Seite Unzensuriert („Klenk und Wolf: Linke Journalisten treiben Verfassungsrichter in die Selbstdemontage“) bis zu gezielter Kritik an einzelnen Journalisten („mehr als unwürdig und völlig inakzeptabel“) in Textpostings. In manchen Fällen brauchte es keine explizite Kritik durch die FPÖ-nahe Page. Es reichte aus, ein Interview vom Vortag zu teilen, um ausfallende Kommentare gegen den oder die JournalistIn zu triggern.

 Screenshot of the ‘HC Strache’ Facebook page, with a post published on Nov. 16, 2016 featuring ORF anchor Armin Wolf interviewing Hofer


Screenshot der HC Strache Facebook Seite, mit einem Eintrag vom 16. November 2016, der ORF Anchor Armin Wolf Interview mit Hofer zeigt.

Der Einfluss von Gender

Des Weiteren zeigt sich ein klarer gender bias: 75 der 92 Fälle richteten sich an Journalistinnen. Das ist besonders auffällig, weil insgesamt mehr Journalisten in Postings kritisch angegangen wurden. Im Fall von Journalisten wurde eher die Arbeit kritisiert und die Unabhängigkeit angezweifelt (in teilweise sehr extremer Wortwahl), Beleidigungen und Drohungen trafen aber eher die Journalistinnen. Unter den Fällen von „abusive behaviour“ richteten sich 84 Prozent (69 von 86 Fällen) an Journalistinnen.

In einem Fall schnitt die FPÖ aus alten Ausgaben von ORF-Sendungen wie Im Zentrum oder Runder Tisch ein Video mit unvorteilhaften Gesichtsausdrücken von Ingrid Thurnher zusammen, die laut Angaben der FPÖ während Wortmeldungen ihrer PolitikerInnen aufgetreten wären und teilte es mit dem Titel „Ein Blick sagt mehr als Tausend Worte“. Das Video rief sehr starke Reaktionen unter den Fans hervor, in denen die betroffene Moderatorin intensiven negativen Reaktionen ausgesetzt war.


Graphic 2. Data: IPI Ontheline Database. Graphic wurde mit Google Fusion Tables erstellt.

Ähnlich war es im Fall von Christa Zöchling, einer Journalistin vom Profil. Strache teilte einen Artikel von Unzensuriert mit einem Vorschaubild, auf dem die Journalistin gerade ein Handyfoto machte und dem Titel „Profil-Schreiberin Zöchling bei Foto-Safari bei FPÖ-Wahlkampf-Auftakt: Auf der Suche nach ‘hässlichen Menschen’?“. Die Überschrift spielte auf eine Kontroverse um einen alten Artikel von Zöchling an. Allein dieses Posting generierte 175 Kommentare, die sich zu einem beträchtlichen Ausmaß um das äußere Erscheinungsbild der Journalistin drehten.

Wie vielfach in Studien bestätigt, waren die Kommentare im Fall von Journalistinnen deutlich körperlicher („Ich schau mir das Weib nicht mehr an den da ekelt es mich von Kopf bis Fuß“, „I mog diese funsn net die ist einfach nur Respektlos“).

Der Impact auf die JournalistInnen

Die betroffenen JournalistInnen geben überwiegend an, die Facebookpage von Strache nicht genau zu verfolgen und von den Postings nur indirekt zu erfahren. „Ich merke das ausschließlich daran, das plötzlich auf meiner Facebook-Seite jede Menge ähnlich klingender Kommentare auftauchen, die meistens unter einem Posting stehen, mit dem sie nichts zu tun haben“, erzählt Armin Wolf. Er schaue dann kurz nach, welches Posting Strache ihm gewidmet habe. Die Kommentare auf Straches Seite selbst lese er nicht. „Ich rechne da mit eher wenig konstruktiver Kritik.“

Ähnliches bestätigt auch Florian Klenk. „Ich merke, dass ich irgendwo auf einer rechten Seite thematisiert werde, wenn die E-Mails anschwellen.“ Manchmal suche er dann den Ursprung, manchmal sei es ihm aber auch einfach egal. „Im Grunde ist das ja kindisch. Strache und (FPÖ-Vize) Gudenus erzeugen in einer eigenen Echokammer Lärm“, sagt Klenk. „Da wird dann in diesem digitalen Keller herumgebrüllt. Manchmal geht die Tür auf, und es dringt etwas nach außen.“ Er müsse sich diesen Keller allerdings nicht jede Woche antun. Auch Zöchling gibt an, von den Hasspostings auf Unzensuriert und dem Posting von Strache erst durch Dritte erfahren zu haben.

Die Phase des intensiven Hasses nach solch einem Postings dauere normalerweise nur kurz an. Trotzdem beschreiben die betroffenen JournalistInnen das Phänomen als außerordentlich invasiv, von „lästig“ über „belastend“ bis zu „angsteinflößend“. Einem Opfer wurde während der Intensivphase sogar Polizeischutz angeboten. Doch auch in den weniger heftigen Fällen besteht immer die Möglichkeit, dass sich JournalistInnen von einzelnen Kanälen zurückziehen. Nicht mal zwingend aus Angst vor den Kommentaren, sondern auch, weil es sehr viel Zeit und Nerven koste. „Ich bin unter anderem wegen solcher Erfahrungen selbst in den sozialen Netzwerken selten bis kaum aktiv“, erzählt Zöchling.