Eine Gruppe zehn unabhängiger Journalisten und Medien-Anwälte aus der Türkei waren, unter anderem, Diskussionsteilnehmern der Veranstaltung „Turkey’s Media Under Siege des Internationalen Presse Institutes (IPI) in Wien am 22. Februar 2017.
Die Teilnehmer der Diskussionsrunde, moderiert von der österreichischen Journalistin Petra Ramsauer, besprachen die derzeitige Lage der Medienfreiheit in der Türkei unter Präsident Recep Tayyip Erdogan, sowie kurz- und langfristige Strategien im Kampf gegen die Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit.
Gleichzeitig nutzte IPI die Gelegenheit, um eine neue Webseite, die Teil der Kampagne „Free Turkey Journalists“ ist, zu präsentieren. Die Website bietet Informationen über 153 Journalisten, die derzeitig im Gefängnis sitzen – in vielen Fällen ist die Anklage unbekannt.
„Die Medien in der Türkei waren nie ganz frei, jedoch gab es eine kurze Periode, in der die Journalisten eindeutig mehr Freiheiten hatten. Ab 2015 jedoch ist die Lage sehr schlimm geworden. Journalisten werden als Terroristen bezeichnet und wir leben in konstanter Angst,“ sagte Mehveş Evin, eine unabhängige türkische Journalistin. Evin verlor 2015, gemeinsam mit sechs weiteren Journalisten ihre Anstellung bei der tageszeitung Milliyet, vermutlich aufgrund ihrer kritischen Berichterstattung.
Nach dem fehlgeschlagenen Putschversuch am 15. Juli 2016, wurden hunderte Medienhäuser geschlossen, über 2300 Journalisten verloren ihre Arbeit und somit ihre Einkommensgrundlage.
Häufig wird Journalisten vorgeworfen, Propaganda für den Terrorismus zu betreiben. Aufgrund solcher Vorwürfe und der sich zuspitzenden Situation für Presse und Medien, sehen viele sich gezwungen in anderen Branchen Fuß zu fassen, um ihre Existenz zu erhalten.
Die Journalisten betonten, dass insbesondere kurdische Journalisten zur Zielscheibe von Verhaftungen und Attacken geworden sind. Die Position der Regierung gegenüber des Kurdenkonflikts hat sich merklich verschlechtert und drängt immer mehr Journalisten dazu, aus der Türkei zu fliehen, um somit Verfolgung und Verhaftung zu entgehen.
Fehim Işık, der für die pro-kurdische Zeitung Evrensel arbeitete, floh auf Bitten seiner Familie im Dezember 2016 nach Deutschland. Auch aus seinem Exil arbeitet Işık weiterhin als Journalist und betreibt mit seinen Kollegen die in Deutschland ansässige Nachrichtenseite Artı Gerçek.
Die Lage der Pressefreiheit in der Türkei wird immer prekärer, wie die anwesenden Journalisten und Anwälte aus der Türkei schildern. Ein jeder von ihnen hat auf die eine oder andere Weise das harte Durchgreifen gegenüber kritischer Journalisten und Andersdenkende am eigenen Leib erfahren.
„Wenn es so weitergeht wird die Türkei bald Syrien gleichen, “ sagte Işık bei der Podiumsdiskussion in Wien, ein Bedenken das angesichts des im April bevorstehenden Referendums viele teilen.
Wolfgang Roth von PEN Österreich verwies auf das berühmte Zitat von Martin Luther King, dass Ungerechtigkeit, egal wo, eine Gefahr für die Gerechtigkeit überall sei. Roth erklärte weiter: „Es wird schwer sein dagegen anzukämpfen, jedoch müssen wir unser Nötigstes versuchen. Denn wie auch viele Journalisten sagten, dieses Problem, mit dem sie derzeit in der Türkei konfrontiert sind, kann auch zu einem europäischen Problem werden.“
Evin ermahnte, dass, wenn die Mehrheit für das Referendum stimmt, viele Menschen Richtung EU flüchten werden. Die vorgeschlagenen Veränderungen werden nicht nur Erdogan’s Macht ausweiten, sondern stellen, etwa durch Einschnitte in die Gewaltenteilung, eine Gefahr für die Demokratie im Land dar.
Dem stimmte Philip Buisseret, Generalsekretär der europäischen Anwaltsgruppe Council of Bars and Law Society of Europe (CCBE) bei: „Wir müssen viel Lärm machen, denn die Medien sind die vierte Gewalt. Wenn die Demokratie an Transparenz verliert, wird es nur schlimmer…“
Die Experten riefen zu internationaler Solidarität und Druck auf die Regierung auf. Die Präsenz der Problematik und die Sichtbarkeit von Einzelschicksalen in der Öffentlichkeit können Wandel anstoßen und Ankara zu einem Politikwechsel bewegen.
Işık, der selber in den 90er Jahren zwei Jahre inhaftiert war, berichtete wie die Briefe, die er aufgrund der Kampagnenarbeit der internationalen Menschenrechtsorganisation Amnesty International bekam, seinen Prozess und die Einstellung der Staatsanwaltschaft zu seinen Gunsten beeinflussten.
Mit einem „Solidaritätszeichen“ bei dem Teilnehmer der Veranstaltung Plakate mit den Worten „#FreeTurkeyJournalists“ und „#JournalismIsNotACrime“ hochhielten, wurde die Diskussionsrunde vorerst beendet – allerdings mit der Hoffnung, dass die Debatte in der Öffentlichkeit weitergeführt wird.
Diese Veranstaltung entstand in Zusammenarbeit mit dem Presseclub Concordia und ist Dank der Unterstützung des Schwedischen Konsulat in Istanbul ermöglicht worden.