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ERKLÄRUNG DER INTERNATIONALEN DELEGATION FÜR PRESSE- und MEDIENFREIHEIT IN DIE TÜRKEI
Im Anschluss an eine internationale Delegationsreise zur Pressefreiheit in der Türkei vom 27. Februar bis 2. März 2017, äußern sechs Pressefreiheitsorganisationen ernsthafte Bedenken zu Medienfreiheit und der Achtung der Menschenrechte vor Ort und warnen davor, dass die Demokratie im Land gefährdet ist.
Die Delegationsreise kam infolge der fortlaufenden ‚Säuberungsaktionen’ durch die türkische Regierung seit dem missglückten Putschversuch am 15. Juli 2016 zustande, der das Land nachhaltig traumatisiert hat. Nach dem Putsch trat ein bis heute geltender Ausnahmezustand in Kraft, der der Regierung weitgehende Befugnisse zugesteht und in dessen Folgen inzwischen hunderttausende Menschen entlassen oder festgenommen wurden.
Zu den Betroffenen gehören ca. 155 inhaftierte Journalisten und Medienschaffende, von denen 125 seit dem Putschversuch verhaftet wurden. Die meisten von ihnen wurden aufgrund der angeblichen Unterstützung von Terroristen und aufgrund von widersprüchlichen Anschuldigungen, die sich auf ihre Kritik an Regierungsbeamten oder der Regierungspolitik bezieht, inhaftiert.
Journalisten werden monatelang in Untersuchungshaft festgehalten und bestraft, ohne verurteilt zu sein und ohne, dass ihnen die erhobene Anklage mit den angeblichen Beschuldigungen oder Beweisen vorgelegt wird. Stattdessen werden ihnen willkürlich Kontakte nach außen beschränkt oder das Recht auf angemessene Verteidigung wird massiv behindert.
Diese Entwicklungen wecken Zweifel an der richterlichen Unabhängigkeit und Rechtsstaatlichkeit im Land. Verstärkt werden diese Zweifel durch das Versagen des Verfassungsgerichts bei der Überprüfung von Verhaftungen und der Behebung von Rechtsverletzungen.
Der Delegationsreise ist die Entscheidung über ein Referendum zur Verfassungsänderungen am 16. April 2017 vorausgegangen, welches die Türkei von einem parlamentarischen zu einem Präsidialsystem umwandeln soll und dabei die Macht des Präsidenten über alle Regierungszweige deutlich ausweiten würde.
Massenschließungen von Medien durch Notstandsdekrete lassen nur noch wenig Raum für Meinungsäußerungen, die von der Regierungslinie abweichen; Wähler werden gezwungen, essenzielle Entscheidungen über das politische System des Landes unter den Bedingungen des Ausnahmezustands und unter extremen Einschränkungen einer öffentlichen Debatte zu treffen.
Die Delegierten trafen sich mit Journalisten und Medienvertretern, die unter massivem Druck stehen; mit den Familien und Anwälten inhaftierter Journalisten; und mit Vertretern der Zivilgesellschaft, Oppositionspolitikern und ausländischen Diplomaten. Repräsentanten des türkischen Justizministeriums und Berater Erdoğans verweigerten jedoch ein Treffen und das Ministerium ignorierte die Anfrage der Delegierten, inhaftierte Journalisten besuchen zu können.
In Anerkennung der Notwendigkeit freien Informationsaustausches als Grundvoraussetzung für Demokratie und für das Treffen informierter Entscheidungen sowie mit Blick auf die potenziell tiefgreifenden Auswirkungen des Abstimmungsergebnisses des Referendums, steht die Delegation in Solidarität mit den Journalisten in der Türkei und empfiehlt der türkischen Regierung:
– alle Journalisten und diejenigen freizulassen, die aufgrund ihrer freien Meinungsäußerung, dem Teilen von Nachrichten und Informationen von allgemeinem Interesse inhaftiert sind, und dahin zurückzukehren, die internationalen Menschenrechte zu wahren.
– den fortdauernden Ausnahmezustand zu beenden, rechtliche und administrative Maßnahmen zum Schutz freier Meinungsäußerung und den Zugang zur Justiz, der seit der Verhängung des Notstands ausgesetzt ist, wiederherzustellen; und dafür Sorge zu tragen, dass das türkische Justizsystem unabhängig im Einklang mit Recht und Gesetz und ohne politische Einflussnahme arbeiten kann.
– alle Aktivitäten zu unterlassen, die Journalisten oder andere davon abhalten, die Vor- und Nachteile der vorgeschlagenen Verfassungsänderungen im Vorfeld des Referendums frei zu diskutieren und sicherzustellen, dass die Öffentlichkeit uneingeschränkten Zugang zu einem breiten Spektrum von Informationen erhält, welches auch die faire, gleichberechtigte und nichtdiskriminierende Fernseh- und Radioberichterstattung zu unterschiedlichen politischen Ansichten umfasst.
– Journalisten zu erlauben, die Regierungspolitik zu hinterfragen und Angelegenheiten von allgemeinem öffentlichen Interesse frei und ohne Unterdrückung zu recherchieren, einschließlich solcher Themen wie: Korruption, die “Kurdenfrage”, Menschenrechtsverstöße, den bewaffneten Konflikt in der Südost-Türkei und Syrien sowie die Aktivität von Kämpfern etwa des Islamischen Staates.
– sicherzustellen, dass von der Regierung autorisierte Presseausweise allen in- und ausländischen Journalisten frei zugänglich sind und die Entscheidung über deren Ausstellung nicht Gegenstand von politischem Druck sein darf.
– feindselige Rhetorik zu unterlassen, die auf Journalisten als “Verräter” und “Terroristen” abzielt; und klare Signale an die Polizei, die Justiz und die Öffentlichkeit zu senden, dass Angriffe auf Journalisten vor Gericht gestellt werden müssen. Ebenso ist sicherzustellen, dass ausländische Journalisten nicht gesonderte Einschüchterung und Belästigung erfahren.
– zu weit gefasste Anti-Terror-Gesetze zu reformieren, im Entwurf und in der Umsetzung, und klar zwischen Individuen, die sich aktiv an Gewalt beteiligen und Journalisten, die lediglich über terroristische Gruppen berichten, zu unterscheiden.
– sicherzustellen, dass jeder Person, die in der Türkei einer Straftat beschuldigt wird, ein ordnungsgemäßes Verfahren sowie alle Menschenrechte die in der Europäischen Menschenrechtskonvention und in anderen internationalen Abkommen garantiert sind, zu denen sich die Türkei verpflichtet hat, gewährt werden.
– darüber hinaus, willkürliche Restriktionen zu beenden, die verschärft auf Journalisten hinter Gittern abzielen im Vergleich zu anderen Gefangenen.
– Transparenz zu erhöhen, nicht nur was den Zugang zu Informationen betrifft, sondern auch die Bereitschaft von Beamten mit unabhängigen Medien zu sprechen und sich am Dialog mit internationalen Beobachtern zu beteiligen, die das Ziel der Wahrung einer stabilen, erfolgreichen und demokratischen Türkei eint.
– die Empfehlungen des Menschenrechtskommissars des Europarats Nils Muižniek im „Memorandum zu Meinungsfreiheit und Medienfreiheit in der Türkei“ [1] vom 15. Februar 2017 und die Empfehlungen in den Berichten der eingeschränkten OSCE/ODIHR Wahlbeobachtungsmission zu den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 [2] und 1. November 2015 umzusetzen [3].
– die Schlussfolgerungen und Empfehlungen, die in zukünftigen Berichten der Venedig-Kommission des Europarats hinsichtlich der richterlichen Unabhängigkeit in der Türkei, der vorgeschlagenen Verfassungsänderungen und der Auswirkungen der Notverordnungsgesetze auf Medienfreiheit dargelegt werden, zu beachten und umzusetzen.
Die Delegierten rufen außerdem ausländische Regierungen dazu auf:
– Druck auf die Türkei auszuüben, ihren Menschenrechtsverpflichtungen nachzukommen und anzuerkennen, dass die Ausnahmeregelungen, die angeblich der kurzfristigen Sicherheit oder wirtschaftlichen Interessen dienen, eine Schwächung der türkischen Demokratie riskieren und langfristig eine erhebliche Verschlechterung eben dieser Herausforderungen darstellen.
– Internationale Foren zu nutzen – etwa Zusammenkünfte vor Organen der Vereinten Nationen, des Europarats und der OSZE – um die Notwendigkeit für die Türkei herauszustellen, inhaftierte Journalisten freizulassen und den Druck auf die Medien zu lockern, sowohl im Allgemeinen als auch gezielt vor dem Referendum.
– Alle vorhandenen Kanäle zu benutzen, um den Dialog mit der türkischen Regierung hierzu fortzuführen.
6. März 2017
Steven M. Ellis, Leiter Advocacy und Kommunikation, International Press Institute (IPI)
Sandy Bremner, Redaktionsleiterin Nordost und Nordische Inseln, BBC Schottland / Stellvertreterin, IPI National-Komitee Großbritannien
Georgia Nash, MENA und Türkei Programmbeauftragte, ARTICLE 19
Anna Livion Ingvarsson, Generalsekretärin, PEN Schweden
Sophie Busson, Advocacy Referentin, Reporter ohne Grenzen (RSF)
Erol Onderoglu, Vertreter Türkei, Reporter ohne Grenzen (RSF)
Otmar Lahodynsky, Präsident, Association of European Journalists (AEJ); Redakteur Europa, Profil.at
Michelle Trimborn, Pressereferentin, Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF)
[1] http://www.coe.int/en/web/commissioner/-/urgent-measures-are-needed-to-restore-freedom-of-expression-in-turkey
[2] http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/177926
[3] http://www.osce.org/odihr/elections/turkey/219201