Ein halbes Jahr vor der Parlamentswahl hat die Regierung des ungarischen Premiers Viktor Orbán den Kauf aller Regionalmedien des Landes durch mehrere Gefolgsleute des Ministerpräsidenten und regierungsnahe Geschäftsleute abgeschlossen.
Seit seiner Amtsübernahme im Jahr 2010 hat es Orbán geschafft, nach und nach die meisten der ungarischen Medien unter seinen Einfluss zu bringen. Die Übernahme der regionalen Zeitungen ist ein sehr bedeutender Schritt in seinem langfristigen Bestreben, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen.
„Diese Zeitungen sind ein billiger und effizienter Kanal für die Übermittlung von Regierungsbotschaften an ein großes Publikum“, sagt Attila Bátorfy, Forscher am Center for Media, Data and Society der Central European University, der sich umfassend mit der ungarischen Medienlandschaft beschäftigt hat.
Die vier überregionalen Zeitungen des Landes, zwei davon unter direkter Kontrolle von Fidesz, werden über das Land verteilt, aber nur eine sehr geringe Zahl an Exemplaren wird außerhalb von Budapest verkauft. In 18 der 19 Komitate Ungarns gibt es regionale Zeitungen, von denen fast alle eine höhere Auflagenzahl haben als die in Budapest ansässigen Tageszeitungen.
„Für viele Menschen, die außerhalb der Hauptstadt leben, ist die Regionalzeitung die einzige, die sie lesen”, erklärt Dániel Szalay, ein Journalist, der über Medienangelegenheiten für die Nachrichtenwebsite 24.hu berichtet.
Diese 18 Zeitungen waren lange Zeit im Besitz eines halben Dutzends von Medienunternehmen, darunter einige kleine lokale Familienbetriebe und auch einige Ableger größerer Medienkonglomerate. Dies begann sich im Jahre 2014 zu ändern, als die ungarische Wettbewerbsbehörde die Fusion der ungarischen Zweigniederlassungen der Schweizer Ringier AG mit dem deutschen Unternehmen Axel Springer genehmigte – unter der Voraussetzung, dass mehrere ihrer Zeitungen verkauft werden, um die Bildung eines Monopols zu verhindern.
Zu dieser Gruppe von Zeitungen gehörten auch Népszabadság, damals die größte überregionale Zeitung Ungarns, sowie auch mehrere regionale Medien. Diese Zeitungen wurden an das Unternehmen Mediaworks, kontrolliert von Heinrich Pecina, verkauft. Pecina ist ein österreichischer Geschäftsmann, der als Ansprechpartner für zahlreiche osteuropäische politische Akteure in mehreren kontroversen Geschäften fungierte.
2016 kaufte Mediaworks noch eine Handvoll ungarischer Regionalblätter von einer Firma, die sich im Besitz der deutschen Funke Mediengruppe befand, bevor das Unternehmen Népszabadság zusperrte, ohne die Journalisten der Zeitung vorher darüber in Kenntnis zu setzen. Tage nach der Schließung der Zeitung verkaufte Pecina Mediaworks an die Opimus Group, eine Firma im Besitz von Lőrinc Mészáros, einem ehemaligen Gasinstallateur und Jugendfreund von Orbán.
Die Wettbewerbsbehörde genehmigte alle diese Deals, was zur Folge hatte, dass sich nur mehr eine kleine Anzahl an Regionalzeitungen außerhalb von Orbáns Einflusskreis befand. Pecina kaufte drei von ihnen im Juli 2017.
Im August 2017 wurde das Medienhaus Lapcom, welches die nationale Boulevardzeitung Bors und die letzten beiden übrigen Regionalzeitungen herausgibt, an das Unternehmen Avalue Befektetési verkauft. Letzteres wird von Andy Vajna kontrolliert, einem ungarischen Filmproduzenten, der sein Vermögen in Hollywood verdiente und zu den Geschäftsleuten zählt, die Orbán in seinen engsten Vertrauenskreis aufgenommen hat. Vajna ist auch im Besitz von TV2, einer der zwei größten ungarischen kommerziellen TV-Sender.
Lapcoms zwei Regionalblätter, Kisalföld und Délmagyarország, sind die Juwelen in der nun vollständigen Sammlung von regierungsnahen regionalen Tageszeitungen. Ihre Auflagenzahlen belaufen sich jeweils auf 56.000 und 34.000. Die Zeitungen gelten seit Jahrzehnten als die zwei besten regionalen Publikationen des Landes.
Kisalföld wird in Győr-Moson-Sopron verlegt, einem wohlhabenden Komitat, welches nahe der Grenze zu Österreich liegt, während Délmagyarország in der im Süden Ungarns gelegenen Stadt Csongrád herausgegeben wird. Der Komitatssitz von Csongrád, Szeged, ist die einzige ungarische Großstadt, deren Bürgermeister, László Botka, nicht der Fidesz-Partei angehört, sondern der sozialistischen Partei Ungarns.
Mit diesen 18 Zeitungen im Besitz von Geschäftsleuten, die dafür bekannt sind, dass sie Orbans Medieninteressen wahren und fördern – Vajna besitzt zwei, Pecina drei und Mészáros die restlichen 13 – ist das regionale Puzzle nun vollständig.
„Es ist unglaublich, dass so etwas in einem EU-Staat passiert”, sagt Szalay. „Viele der verbliebenen unabhängigen überregionalen Zeitungen und Webseiten waren auf die Regionalblätter angewiesen, wenn es darum ging, lokale Probleme zu beleuchten. Nun wird über diese nicht mehr berichtet“.
Ferenc Nimmerfroh, ein Journalist aus Pécs, Sitz des Komitats Baranya und als Kulturhauptstadt Südungarns bezeichnet, hat die Auswirkungen von Orbáns Kaufrausch persönlich zu spüren bekommen. Nimmerfroh war der ehemalige Herausgeber der Zeitung Dunántúli Napló, ein Regionalblatt, das 2014 von Mediaworks gekauft und 2016 an die Opimus Group verkauft wurde. Er und seine nach Unabhängigkeit strebenden Kollegen wurden von Opimus sofort nach Verkauf der Zeitung entlassen.
„Wir wussten bereits seit Monaten, dass dies geschehen würde, deshalb war es keine allzu große Überraschung“, erzählt Nimmerfroh IPI in einem Interview.
Im April gründete Nimmerfroh die lokale Nachrichtenwebsite szabadpecs.hu. Das Team hinter der Website hat es jedoch nicht leicht.
„Wir sind das einzige Medium in Pécs, das nicht von politischen Parteien gesteuert wird“, erklärt er. „Es gibt eine einzige Website, die ein Nahverhältnis zur Ungarischen Sozialpartei hat, alle anderen ordnen sich der Fidesz-Parteilinie unter. Je weniger frei die lokalen Medien sind, desto mehr Menschen strömen zu den übrigen unabhängigen Stimmen – das können wir an der Anzahl der LeserInnen unserer politischen Berichte erkennen“.
Ein rentables Mediengeschäft zu führen ist allerdings eine andere Sache.
„Wir führten monatelange Gespräche mit einem potentiellen Investor, der schließlich aufgrund von politischen Verwicklungen ausgestiegen ist“, erklärte er. „Wir haben auch erfahren, dass Firmen ihre Werbung nicht bei uns platzieren, weil sie Angst vor lokalen Politikern haben“.
Nimmerfroh glaubt, dass es nun unmöglich wäre, eine profitable und unabhängige regionale Zeitung in Ungarn zu veröffentlichen.
Regierungsnahe Regionalzeitungen, auf der anderen Seite, können einen beträchtlichen Gewinn vorweisen. „Diese Zeitungen konnten immer schon sehr billig produziert werden und brachten ihren Besitzern immer viel Geld ein“, so Bátorfy. Es wird erwartet, dass sich dieser Trend weiter fortsetzt, da sich alle regionalen Zeitungen nun in den gleichen Händen befinden. Die Kosten können reduziert werden, während die Leserzahlen voraussichtlich stabil bleiben, zumindest auf kurze Sicht.
Szalay erwähnte noch einen weiteren Weg, wie Gewinne maximiert werden können: „Die Zeitungen werden voll mit Regierungswerbung sein, was zur Folge hat, dass enorme Summen an öffentlichen Geldern in die Taschen der Besitzer wandern“.
Das oberste Ziel, sagte er, sei allerdings ein politisches.
„Für die Kampagnen im Zuge der Parlamentswahl 2018 braucht [Fidesz] Medien, die als Echo der Regierungspropaganda fungieren und sich bezüglich lokaler Probleme in Schweigen hüllen“, sagt Szalay.
Aus dem Englischen übersetzt von Katja Deinhofer.