Stellen Sie sich vor, Sie sitzen für 400 Tage im Gefängnis und wissen nicht einmal, wie die Anklage überhaupt lautet – oder ob Sie jemals wieder freigelassen werden?
Dies ist die Realität von Mahmoud Hussein, 51 Jahre alt und Vater von neun Kindern, derzeit in Ägypten hinter Gittern, weil er ein Journalist ist. Und er ist nicht allein: Weltweit sitzen nur in der Türkei und in China mehr Journalisten im Gefängnis als in Ägypten.
Hussein, ein ägyptischer Staatsbürger der für Al Jazeera in Katar arbeitet, war am 20. Dezember 2016 eigentlich auf dem Weg nach Hause, um seine Familie zu besuchen, als er am Flughafen Kairo festgenommen wurde. Er wurde für über 14 Stunden ohne Beisein eines Anwalts verhört, freigelassen, und wenige Tage später dann erneut verhaftet.
Hussein wurde am 25. Dezember von den ägyptischen Behörden öffentlich die „Verbreitung falscher Nachrichten und die Diffamierung des ägyptischen Staates gegen Bezahlung von ausländischen Behörden“ vorgeworfen. Drei Videos mit scheinbar erzwungenen „Geständnissen“ wurden den ägyptischen Medien zugespielt, die Hussein infolgedessen als ausländischen Spion und Terroristen darstellten.
Seitdem wurde Husseins Inhaftierung 11 mal verlängert. Die Staatsanwaltschaft hat bisher aber weder offizielle Anklagepunkte genannt, noch hat die Regierung Beweise oder Begründungen für seine Inhaftierung hervorgebracht. Al Jazeera bestritt alle Anschuldigungen gegen Hussein, und forderte seine sofortige und bedingungslose Freilassung.
Im Januar 2018 befand die UN Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen, dass Husseins Inhaftierung willkürlich war, und dass die Umstände seiner Verhaftung und Gefangenschaft von „grausamer, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung“ zeugten.
Von der Familie vermisst
Mahmoud Hussein mit mehreren Familienmitgliedern. Foto mit freundlicher Genehmigung von Al Jazeera
Husseins älteste Tochter, Aya Mahmoud Hussein, ist wütend und enttäuscht über die Art und Weise, in der die ägyptische Regierung ihren Vater und ihre Familie behandelt. In einem Interview mit dem International Press Institute (IPI), beschrieb sie ihren Vater als Mann, der seine Kinder stets lehrte, ihr Heimatland zu lieben.
“Als ich sah, dass mein Vater im Fernsehen als Terrorist dargestellt wurde, war ich unglaublich wütend”, sagte sie. „Wie kann man einen derart liebevollen und fürsorglichen Menschen nur als Terrorist bezeichnen?“
Laut Aya Hussein wusste ihr Vater nichts von seiner bevorstehenden Verhaftung, obwohl er wusste, dass sein Arbeitsgeber, Al Jazeera, zwischen den Fronten des Konflikts zwischen Ägypten und Katar stand. Er war einfach ein Ägypter, der in sein Land zurückkehrte um die Ferien dort mit seiner Familie zu verbringen. Da er nichts verbrochen hatte, würde ihm auch nichts passieren – dachte er.
„Er vertraute den ägyptischen Behörden“, sagte Aya Hussein. „Leider lag er damit falsch.“
Auch Mahmoud Husseins Familie leidet an den Folgen seiner Inhaftierung. Im Rahmen der Hetzkampagne, die ihn als Staatsfeind porträtierte, haben die ägyptischen Medien auch Bilder und Informationen zu seinen Angehörigen und seinen Kinder in Umlauf gebracht. Seine jüngeren Kinder wurden in der Schule gefragt ob ihr Vater wirklich „ein Terrorist“ sei. Seine zweitälteste Tochter, Zahra Mahmoud Hussein, verlor ihren Ausbildungsplatz als Reporterin bei einem Fernsehsender, nachdem ihr Vorgesetzter erfuhr, wer ihr Vater ist. Zahra Hussein hat sich mittlerweile von der Vorstellung, in die Fußstapfen ihres Vaters zu treten und Journalistin zu werden, verabschiedet. Stattdessen versucht sie jetzt seine Rolle in der Familie zu übernehmen.
Langjährige Erfahrung
Als gestandener Journalist mit über 30 Jahren Berufserfahrung, zeigte er bereits im frühen Alter ein großes Interesse an dem Beruf, wie er vor seiner Verhaftung in einem Interview für das Mitarbeitermagazin von Al Jazeera betonte. Er wuchs nahe den Pyramiden von Gizeh und der Sphinx in einem Dorf auf, wo er als Kind oft mit den Bauern am Feld saß und zuhörte, wie sie bei einer Tasse Tee diskutierten. Hussein, der Älteste von neun Kindern, verfolgte auch gern die Nachrichten und aktuelle Themen im Radio mit seinem Vater. Er besuchte als erster aus seiner Familie die Schule und studierte danach Recht und Geschichte an der Universität.
Während seiner Karriere arbeitete er größtenteils für ägyptische Rundfunkanstalten und arabischsprachige Nachrichtenkanäle. Nach vielen Jahren als freiberuflicher Journalist bei Al Jazeera trat er 2010 als Vollzeitkorrespondent für Kairo bei dem Nachrichtensender ein, berichtete über die Revolution von 2011 und die Ereignisse die darauf folgten, wie zum Beispiel die Absetzung des früheren Präsidenten Mohamed Mursi im Jahr 2013, und die darauffolgende Machtergreifung durch den jetzigen Präsidenten Abdel Fatah al-Sisi.
Die Medienfreiheit war in Ägypten schon immer ein schwieriges Thema, aber nach dem Staatsstreich von 2013 verschlechterte sich die Situation nochmals deutlich, und Al Jazeera wurde sogar gezwungen, die Nachrichtenzentrale in Kairo zu schließen. Hussein zog daraufhin nach Doha, um in der Hauptzentrale von Al Jazeera als Nachrichten Producer zu arbeiten.
In den letzten Jahren war Al Jazeera immer wieder Zielscheibe der ägyptischen Behörden. Sie warfen Al Jazeera vor, die Muslimbrüderschaft zu unterstützen, welche vom ägyptischen Staat als Terrororganisation eingestuft wird. Die ägyptische Regierung verwies den Fernsehsender des Landes und verhaftete mehrere der JournalistInnen, die für ihn tätig waren. Zudem wurden mehrere seiner lokalen Nachrichteneinrichtungen von Regierungsanhängern attackiert. Im Jahr 2016 wurde Al Jazeera’s arabischer Chefredakteur, Ibrahim Helal, von den ägyptischen Behörden in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Die UN Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen erinnerte letzten Monat an diese Ereignisse, und befand, dass Husseins andauernde Inhaftierung ohne Anklage ein Teil des harten Durchgreifens gegen unabhängige Medien und Blogger ist, welches die Regierung gegenüber all jenen zeigt, die andere politische Positionen vertreten.
Bei Al Jazeera wird Mahmoud Hussein von seinen Kollegen vermisst. Sie beschreiben ihn als gut vernetzten und professionellen Journalisten, der stets Wert darauf legte, dass alle Details in seiner Korrespondenz präzise wiedergegeben werden. Laut Majed Khedr, seinem Vorgesetzten in Doha, kannte sich Hussein mit dem Nachrichtengeschäft bestens aus. Khedr äußerte sich außerdem (in einem Artikel von Al Jazeera) über Husseins Sinn für Humor, und seine Gabe, die Stimmung in einem angespannten Nachrichtenstudio aufzuheitern.
„Jeder Tag im Gefängnis ist vergeudete Lebenszeit“
In einem ägyptischen Gefängnis zu sitzen sei das Schlimmste, was einem Menschen zustoßen kann, äußerte sich kürzlich Baher Mohamed in einem Interview mit IPI. Mohamed war ein Kollege von Hussein bei Al Jazeera, saß selbst zwischen 2013 und 2015 für 438 Tage in einem ägyptischen Gefängnis, und weiß somit wovon er redet.
„Jeder Tag im Gefängnis ist vergeudete Lebenszeit“, sagte Mohamed.
Mohamed ist der Überzeugung, dass Hussein gerade das Gleiche durchmacht, wie er damals. Die hygienischen Bedingungen in ägyptischen Gefängnissen sind katastrophal. Eimer dienen als Toiletten und die Insassen leiden öfter an Lebensmittelvergiftungen. Die Zellen sind dunkel und muffig, am Boden krabbeln haufenweise Kakerlaken, Ameisen und andere Insekten.
Zudem saß Mahmoud Hussein die ersten drei Monate in Isolationshaft. Laut Mohamed ist dies das Schlimmste, was einem Menschen passieren kann. Die winzigen Zellen haben weder Strom noch Heizung, es gibt keinerlei Tageslicht und der Kontakt zu anderen Häftlingen ist untersagt. Falls man es dennoch versucht, wird man bestraft.
Mohamed entwickelte während seiner Zeit im Gefängnis mehrere Strategien, um mit der Einsamkeit zurechtzukommen. Eine davon war, mit einer Zwiebel zu reden, die er „Wilson“ getauft hatte.
„Ich hatte eine Zwiebel als Freund, damit ich mit irgendwem sprechen konnte“, berichtete Mohamed im Interview mit IPI.
Hussein teilt sich die Zelle derzeit mit drei weiteren Insassen, alle sitzen für schwere Verbrechen wie Mord ein. Der Schock den man erlebt, wenn man unter diesen Umständen mit Drogendealern und Mördern einsitzt, ist laut Mohamed enorm.
Einmal pro Woche darf Hussein Besucher empfangen. Aya Hussein, die in Frankreich studiert, hat ihren Vater letztes Jahr an Weihnachten zwei Mal besucht.
“Es hat mich deprimiert, ihn in seiner Häftlingskleidung zu sehen”, sagte sie. „Er hat es nicht verdient, so etwas tragen zu müssen. Er sollte nicht im Gefängnis sitzen, und ich sollte ihn nicht dort treffen müssen.“
Husseins Kinder sorgen sich um seine Gesundheit. Seit seiner Verhaftung hat er wegen der schlechten Essensversorgung viel Gewicht verloren, und leidet laut seiner Familie und seinen Kollegen sowohl körperlich, als auch psychisch.
Letzten Sommer musste Hussein nach einem Sturz für über 72 Stunden aufärztliche Behandlung für seinen gebrochenen Arm warten. Der Arm wurde zwar rudimentär eingegipst, trotzdem verschlimmerten sich die Schmerzen, und eine Operation, ebenso wie ein Gipswechsel, wurde ihm verwehrt.
Kampf um Gerechtigkeit
Baher Mohamed ist sich sicher, dass der internationale Druck durchaus Einfluss auf die ägyptischen Behörden hat. Nachdem er mitsamt zwei weiteren Kollegen 2013 in Ägypten inhaftiert wurde, half eine weltweite Kampagne von JournalistInnen, Menschenrechtsgruppen und ausländischer Regierungen dabei, ihre Freilassung zu erreichen.
„Ich bin mir absolut sicher, dass der Druck auf die ägyptische Regierung und das Zusammenhalten der journalistischen Gemeinde der Grund für meine Freilassung war“, sagte er zu IPI.
Deshalb ruft Mohamed alle Menschen dazu auf, sich an den Bemühungen um die Freilassung von Hussein und anderen inhaftierten JournalistInnen zu beteiligen, und somit den JournalistInnen zu ermöglichen, ihre Arbeit ohne Angst auszuführen.
„Wir Reporter erweisen der Welt durch unsere Berichterstattung einen wichtigen Dienst”, sagte er. „Wenn die Menschen nicht durch professionellen Journalismus erfahren, was in ihrem Heimatland geschieht, werden sie nicht in der Lage sein, informiert zu wählen. Medienfreiheit ist das Herz der Demokratie.“
Aya Hussein bedauert währenddessen, dass man die internationale Gesellschaft um Hilfe bitten muss.
Ihrer Auffassung nach sollte Ägypten seine eigenen Bürger respektieren und achten. Sie ist über die mangelnde Unterstützung seitens der ägyptischen Medien für ihren Vater enttäuscht. Und sie betont, dass JournalistInnen nicht den Preis für den andauernden Konflikt zwischen Ägypten und Katar zahlen sollten.
„Dass er Ägypter und Journalist ist, einfach ein Mann der nichts falsch gemacht hat, sollte Grund genug für seine Freilassung sein“, sagte sie.
Zudem bedauert sie, dass sie andere Länder um Hilfe gegen ihr eigenes bitten muss, das Land, dass ihr Vater sie zu lieben lehrte.
„Ich möchte natürlich, dass die Beziehungen zwischen meinem Land und allen anderen Ländern gut sind“, sagte sie.
„Trotzdem würde ich gerne sehen, wie Druck auf mein Land ausgeübt wird, um eine gerechte Behandlung für meinen Vater sicherzustellen, ebenso wie für alle anderen die dermaßen lange in Untersuchungshaft sitzen, ohne dass klar ist, wie die Anklage lautet, was leider für viele Ägypter Realität ist.“
Aus dem Englischen übersetzt von Benedikt Stuck