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Heute ist es genau zwei Monate her, dass der slowakische Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte, die Archäologin Martina Kušnírová, exekutionsartig ermordet in ihrem Haus in Veľká Mača aufgefunden wurden. Die Polizei vermutete sofort, dass der Mord etwas mit Kuciaks Arbeit als Enthüllungsjournalist für die Online-Nachrichtenseite Aktuality.sk zu tun hatte. Dort berichtete er über Themen, die von Steuerbetrug bis hin zu den mutmaßlichen Verbindungen zwischen slowakischen Spitzenpolitikern und der italienischen Mafia reichten.

Das Tatmotiv und die Schuldigen sind weiterhin unbekannt, berichtet der Chefredakteur von Aktuality.sk Peter Bárdy dem International Press Institute (Internationales Presse Institut, IPI) in einem Interview, dass letzte Woche im Büro der Zeitung in Bratislava stattfand.

„Es gibt mehrere mögliche Gründe für den Mord an Kuciak, denn mehrere Leute könnten seinen Tod gewollt haben“, sagte Bárdy.

Anfang des Monats hatte der slowakische Generalstaatsanwalt zugestimmt, einen internationalen Untersuchungsausschuss zusammenzustellen, welcher sich mit der Aufklärung des Falls befasst. Unter anderem werden italienische Behörden, Europol und Eurojust mitwirken. Diese Entscheidung kam wohl auch als Antwort auf die weitverbreitete Skepsis gegenüber den slowakischen Behörden, eigenständig eine vollständige und transparente Ermittlung in dem Fall durchzuführen.

„Ich will (den Behörden) vertrauen, denn ich will die Verantwortlichen für Jáns Mord im Gefängnis sehen. Das Problem sind aber nicht die Ermittler, sondern die Leute an der Spitze“, sagte Bárdy.

Eine Gedenkstätte für Kuciak und Kušnírová vor dem Aktuality.sk Büro in Bratislava. Foto: Alma Onali/IPI.

Nur der Kopf des Kraken

An der Spitze war es in der Slowakei zuletzt stürmisch hergegangen. Öffentliche Proteste fanden fast wöchentlich statt und haben zum Rücktritt von drei umstrittenen Führungspersonen geführt: Innenminister Robert Kaliňák, Premierminister Robert Fico und zuletzt auch Polizeipräsident Tibor Gašpar.

Bárdy beschrieb die Rücktritte als unzureichend, die Wurzeln der Korruption in der Slowakei reichen laut ihm viel tiefer in den Staatsapparat hinein, wobei sowohl Politiker, die Polizei, das Justizsystem aber auch der privatwirtschaftliche Sektor darin verwickelt sind.

„Gašpar war nur der Kopf des Kraken, aber die Tentakeln bleiben nach wie vor in der Polizei verankert“, sagte er. „Es reicht nicht aus, eine einzige Person zu entfernen. Das komplette System muss sich ändern.“

Laut Bárdy fehlt es in der Slowakei aber derzeit noch an einer solchen Alternative für das aktuelle System. Es gibt kein klares Bild davon, wie diese Veränderung aussehen soll.

Klar ist hingegen, dass die bestehenden, fragwürdigen Verbindungen zwischen Polizei, Gerichtsbeamten und Politikern die Arbeit und Reichweite der Medien beeinträchtigen. JournalistInnen veröffentlichen durchaus Artikel und Beiträge über Korruption und die dubiosen Verbindungen zwischen den Behörden und dem organisierten Verbrechen, allerdings wartet man vergebens auf Konsequenzen. Es gibt zahlreiche Anschuldigungen, bei denen die Medien Vergehen ans Licht gebracht haben, welche keinerlei Ermittlungen seitens der Behörden nach sich gezogen haben, sagt Bárdy. Dies spricht dafür, dass die Mächte, welche die Polizei hinter den Kulissen kontrollieren, nach wie vor intakt sind.

„Es ist frustrierend zu wissen, wer für das Verbrechen hier in der Slowakei verantwortlich ist und dann Zeuge zu werden, wie die Behörden sich blind stellen“, sagte er IPI.

Diese Blindheit wirft Fragen zur Sicherheit von JournalistInnen auf. Kuciak hatte zum Beispiel vor seiner Ermordung bereits Drohungen erhalten und deswegen die Polizei um Schutz gebeten, diese kam seinen Bitten aber nicht nach. Ohne die Unterstützung der Polizei, dem Justizsystem und den politischen Behörden sind die JournalistInnen verwundbar und werden zu einfachen Zielen für gefährliche Menschen.

„Wir führen einen Krieg gegen die Korruption und Kuciak ist ein Opfer dieses Krieges“, sagte Bárdy.

Ein neues Enthüllungsportal

Der Mord an Kuciak hat aus Aktuality.sk ein Enthüllungsportal gemacht. Bis Februar haben sich nur drei Mitarbeiter mit Enthüllungsjournalismus befasst, Kuciak war einer von ihnen. Mittlerweile befassen sich alle 28 Reporter mit Datenjournalismus und lernen, wie man große Datenbanken durchsucht und versuchen Verträge und andere Dokumente aufzuspüren, welche dubiose Verbindungen zwischen dem Staat und dem Privatsektor offenlegen.

Zudem hat die Zusammenarbeit zwischen Aktuality.sk und anderen slowakischen Nachrichtenagenturen zugenommen, unter anderem auch durch die Veröffentlichung der Arbeit, die Kuciak angefangen hatte, jedoch nie zu Ende bringen konnte. Das Teilen von Informationen und Ressourcen sei laut Bárdy mittlerweile zu einem Mittel geworden, die Sicherheit der JournalistInnen zu stärken.

„Die Zusammenarbeit gibt uns mehr Sicherheit, denn sie können uns schließlich nicht alle umbringen“, sagte Bárdy. „Exklusivität ist gut, aber sie ist nicht alles.“

Besprechungsraum im Büro von Aktuality.sk in Bratislava. Foto: Alma Onali/IPI

Gleichzeitig arbeiten die slowakischen JournalistInnen daran, wieder ein Vertrauensverhältnis zu ihrem Publikum aufzubauen, welches zuletzt von der hasserfüllten politischen Rhetorik der Machthaber untergraben wurde. Laut Bárdys Verständnis sind der ehemalige Premierminister Fico und seine Regierung für die derzeitige Atmosphäre in der Slowakei verantwortlich, wo die JournalistInnen respektlos behandelt und als Feinde des Staates dargestellt werden.

Die Zukunft des europäischen Journalismus steht auf dem Spiel

Wenn man über den Mord an Kuciak spricht, darf man auch Daphne Caruana Galizia nicht außer Acht lassen. Die maltesische Enthüllungsjournalistin war letzten Oktober durch ein Attentat mit einer Autobombe getötet worden.

Obwohl sich die Verbrechen in mancherlei Hinsicht ähneln – in beiden Fällen handelt es sich um einst undenkbare Verbrechen in einem EU-Mitgliedsstaat – so gibt es doch einen großen Unterschied: Die Anteilnahme und Solidarität der Öffentlichkeit. Während es in Malta relativ ruhig blieb, gehen in der Slowakei fast wöchentlich zehntausende auf die Straße und protestieren für eine Erneuerung der Gesellschaft.

Es ist schwer zu sagen, warum die Reaktionen hier so unterschiedlich ausfielen. Für Bárdy war der Mord an Kuciak ein Weckruf für die Menschen, die bisher an eine gestörte/dysfunktionale Gesellschaft gewöhnt waren. Die Solidaritätsbewegung habe ihnen den Glauben daran gegeben, dass sie eine Veränderung erreichen können. Der erste Schritt, sagt Bárdy, ist es, die Denkweise der Menschen zu ändern – und genau das passiert gerade.

„Wenn man in einem korrupten Land aufgewachsen ist, dann denkt man, dass die Korruption ein normaler Teil des Systems ist“, sagt Bárdy. „Die Korruption steckt in unseren Genen.“

Jedoch fügte er hinzu: „Jetzt glauben wir daran, dass wir etwas verändern können. Vielleicht nicht sofort, aber vielleicht in zwei Jahren, bei den nächsten Wahlen.“

Bárdy betonte, dass der Mord an Kuciak nicht nur ein Problem der Slowakei sei. Wenn der Mord an einem Journalisten in der Slowakei unbestraft durchgeht, dann kann dies auch ein negatives Vorbild für andere Länder in Europa sein, die auch mit Problemen wie Korruption, Populismus und Anfeindung der unabhängigen Medien zu kämpfen haben.

„Wenn sie in Ungarn, Serbien oder Polen sehen, dass Ján ermordet wurde und dies keine Folgen nach sich zieht, dann könnten sie auf die Idee kommen das Gleiche zu tun“, sagte Bárdy.

„Hier geht es nicht um Aktuality oder um Ján Kuciak. Hier geht es um die Zukunft des freien Journalismus in Europa.“

Aus dem Englischen übersetzt von Benedikt Stuck.
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