In Zeiten zunehmendem Autoritarismus und Illiberalismus müssen demokratische Regierungen mit gutem Beispiel vorangehen. Zum Welttag der Pressefreiheit 2022 veröffentlicht das IPI 10 Empfehlungen, was demokratische Regierungen tun müssen, um die Pressefreiheit im eigenen Land und auf der ganzen Welt besser zu schützen.
In den letzten Jahren ist die Pressefreiheit weltweit unter Druck geraten, während der Autoritarismus gewinnt an Stärke. Offensichtlich autokratische Regime von Weißrussland bis Myanmar haben ihr Vorgehen gegen kritische Stimmen dreist ausgeweitet. Unabhängige Journalistinnen und Journalisten sehen sich zunehmend drakonischen rechtlichen Beschränkungen und Bedrohungen ihrer Freiheit und Sicherheit ausgesetzt. Autoritäre Regime nutzen zunehmend digitale Tools und Plattformen, um Desinformation und staatliche Propaganda zu verbreiten, Misstrauen in die Medien und andere kritische öffentlichen Institutionen zu säen und die Grundlagen und Funktionen der liberalen Demokratie auf globaler Ebene zu bedrohen.
Demokratische Länder sind gegen diese Trends nicht immun. Die Pressefreiheit steht in Demokratien auf der ganzen Welt unter Druck. Populistische Führer haben Angriffe auf die Presse gestartet, während politische Entscheidungsträger mit den Grundprinzipien der Pressefreiheit kollidierende Maßnahmen ergriffen haben. Innerhalb der EU, die als Bastion der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gilt, hat Ungarns illiberale Regierung aufstrebenden Autokraten in der gesamten Region und darüber hinaus eine Blaupause dafür geliefert, wie sie staatliche Ressourcen nutzen können, um ganze Medienmärkte zu erobern. Demokratien in allen Teilen der Welt sind bemüht, den mit der grassierenden digitalen Desinformation und staatlichen Propaganda verbundenen Herausforderung zu begegnen und sie einzudämmen, ohne die grundlegenden Rechte auf freie Meinungsäußerung zu untergraben.
Während wir diese Zeilen schreiben, bedroht ein Angriffskrieg in Europa die Souveränität der demokratischen Ukraine und stellt geopolitische Allianzen zwischen demokratischen Nationen auf die Probe. Viele Demokratien der Welt haben mit einer bemerkenswerten Solidaritätsbekundung für die Ukraine und für unabhängige Journalisten und Medien aus der Ukraine und aus Russland sowie aus anderen Ländern reagiert, die unter größtem Risiko über den Krieg berichten.
Dies ist ein entscheidender Moment für die internationale Gemeinschaft, um die Demokratie zu verteidigen, indem sie die Pressefreiheit und andere grundlegende Menschenrechte stärkt, ohne die Demokratien nicht existieren können. Dafür müssen die Demokratien aber auch den Schutz des unabhängigen Journalismus in ihren eigenen Ländern stärken, um die Medienfreiheit als Grundrecht weltweit glaubwürdig zu verteidigen.
„Wir brauchen eine starke und prinzipientreue Bewegung der Demokratien der Welt, um gegen eine weltweite Welle des Autoritarismus anzukämpfen, die die Grundrechte, einschließlich der Pressefreiheit, bedroht“, sagte IPI-Direktorin Barbara Trionfi.
„Wir sehen eine zunehmende Korrosion der internationalen Standards und Mechanismen, die in den letzten 70 Jahren eine wichtige Rolle bei der Verteidigung der Medienfreiheit gespielt haben. Dieser Trend, verbunden mit einer Schwächung der wirtschaftlichen Stabilität der Medienbranche, droht den unabhängigen Journalismus nachhaltig zu beeinträchtigen. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, die Förderung des unabhängigen Journalismus ganz oben auf die globale Agenda zu setzen.“
10 Empfehlungen für die Demokratien der Welt zur Verteidigung der Pressefreiheit im In- und Ausland
- Schützen Sie die Pressefreiheit zu Hause.
Um die Pressefreiheit weltweit glaubwürdig und wirksam zu fördern, müssen demokratische Regierungen zu Hause denselben Verpflichtungen nachkommen. Demokratien sollten daher sicherstellen, dass Richtlinien und Praktiken, die sich auf die Pressefreiheit auswirken, mit nationalen und internationalen Gesetzen und Grundsätzen zum Schutz der Medienfreiheit und des Pluralismus sowie des Rechts auf Meinungsäußerung, Information und Meinung im weiteren Sinne übereinstimmen. Regierungsbehörden, einschließlich Strafverfolgungs- und Staatssicherheitspersonal, müssen einer transparenten, robusten und effektiven Aufsicht unterliegen, um sicherzustellen, dass ihr Handeln mit den Menschenrechten und der Pressefreiheit in Einklang steht.
- Vermeiden Sie es, Gesetze zu erlassen oder anzuwenden, die von autoritären Regimen genutzt werden können, um die Presse einzuschränken.
Demokratische Regierungen müssen darauf achten, keine Gesetze zu erlassen, die von repressiven Regimen dazu genutzt werden können, um die Pressefreiheit einzuschränken und gegen unabhängige Journalisten vorzugehen. Dies kann dadurch erreicht werden, indem zunächst sichergestellt wird, dass die Umsetzung aller die Presse betreffenden innerstaatlichen Gesetze und Richtlinien und ihre Umsetzung mit internationalen Menschenrechtsverpflichtungen und -standards konform sind. Die Staaten sollten antiquierte Gesetze abschaffen, einschließlich der Strafgesetze zu Volksverhetzung, Diffamierung, Verleumdung und Beleidigung, die dazu genutzt werden können, Journalisten und Kontrollinstitutionen dafür zu bestrafen, dass sie Angelegenheiten von öffentlichem Interesse beleuchten. Demokratien müssen sicherstellen, dass nationale Sicherheits- und Anti-Terror-Gesetze eng gefasst sind und so angewandt werden, dass sie Journalismus nicht behindern oder Präzedenzfälle für autoritäre Regime schaffen.
- Stellen Sie sicher, dass die Regulierung von sozialen Medien und Online-Foren mit internationalen Menschenrechtsstandards übereinstimmt.
Online-Foren müssen freie und offene Kanäle für unabhängige Nachrichten und unabhängige Stimmen bleiben. Demokratien sollten davon absehen, Gesetze oder Vorschriften zu verabschieden, die die Meinungs- und Informationsfreiheit im Internet einschränken und sicherstellen, dass alle Maßnahmen zur Regulierung sozialer Medien und Online-Inhalte im Einklang mit internationalen Menschenrechtsprinzipien und -vorschriften stehen. Die Verabschiedung einer unverhältnismäßigen Online-Regulierung schadet der freien Meinungsäußerung zu Hause und legitimiert autoritäre Akteure, gegen die letzten Nischen des unabhängigen Journalismus in ihren Ländern vorzugehen.
- Stellen Sie sicher, dass der Kampf gegen Desinformation nicht dazu benutzt wird, die Meinungsfreiheit einzuschränken und repressiven Regimen keinen Vorwand gibt, Schlimmeres zu tun.
Es gibt keine schnellen politischen Lösungen zur Bekämpfung von Desinformation und Propaganda. Demokratische Regierungen sollten kurzfristigen Lösungen widerstehen, auch in Zeiten des Informationskriegs. Nicht zuletzt, weil diese einen gefährlichen Präzedenzfall für autoritäre Regime darstellen und diesen einen Grund liefern können, sich zu revanchieren, indem sie den Zugang zu ausländischen Medien in ihren Ländern einschränken und damit die Bürger von wichtigen Quellen unabhängiger Nachrichten und Informationen abschneiden. Diese Art von Reaktionen von Demokratien stellen einen gefährlichen Präzedenzfall für autoritäre Regime dar, indem sie sich revanchieren den Zugang zu ausländischen Medien in ihren Ländern einschränken und dadurch den Bürgern wichtige Quellen unabhängiger Nachrichten und Informationen verweigern. Staaten sollten stattdessen in nachhaltige und langfristige Abwehrmechanismen gegen Desinformation und Propaganda investieren. Dazu gehört die Förderung einer professionellen, pluralistischen Medienlandschaft mit einem starkem unabhängigen Journalismus, der Unwahrheiten überprüfen und die Öffentlichkeit vor Propaganda schützen kann ebenso, wie die Investition in Programme zur Vermittlung von Medienkompetenz.
- Beteiligen Sie sich nicht an einer rechtswidrigen Überwachung von Journalisten und der Zivilgesellschaft zu beteiligen oder deren Ermöglichung.
Auch in Demokratien wächst der Überwachungsstaat. Dies hat schwerwiegende Folgen für den kritischen Journalismus und ermöglicht eine noch drakonischere Überwachung in autokratischen Regimen. Demokratische Staaten sollten strenge Menschenrechtsgarantien einführen, um Journalisten und die Zivilgesellschaft vor rechtswidriger oder willkürlicher staatlicher Überwachung zu schützen. Diese Schutzmaßnahmen sollten auf klaren und transparenten Rechts- und Regulierungsrahmen beruhen. Regierungen müssen sicherstellen, dass die Überwachung der Kommunikation durch staatliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden nur in Ausnahmefällen gestattet wird. Diese Fälle müssen eine klare Rechtsgrundlage und von einer unabhängigen Justizbehörde genehmigt worden sein sowie in Übereinstimmung mit den Menschenrechtsprinzipien Rechtmäßigkeit, Legitimität, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit durchgeführt werden.
Demokratien müssen auch eine Vorreiterrolle einnehmen, die sicherzustellt, dass Überwachungstechnologien nicht von repressiven Regierungen eingesetzt werden, um Journalisten und die Zivilgesellschaft auszuspionieren. Demokratien sollten strenge Gesetze und eine behördliche Aufsicht über den Export von Technologien erlassen und umsetzen, die für diese Zwecke verwendet werden können. Sie sollten auch Untersuchungen zum Einsatz von Überwachungstechnologien durch Regierungen einleiten oder unterstützen. Dies gilt besonders für die Untersuchungen zum Einsatz der Pegasus-Spyware zur Überwachung von Journalisten, der Zivilgesellschaft und politischen Gegnern.
- Zeigen Sie Null-Toleranz für Angriffe auf die Presse.
Angriffe auf Journalisten und Medienschaffende sind die schwerste Form der Zensur und ein Angriff auf die Demokratie selbst. Demokratische Regierungen sollten daher ihr Engagement für den Schutz der Pressearbeit demonstrieren, indem sie Journalisten energisch vor verbalen Angriffen, online und offline, und vor körperlichen Bedrohungen, Angriffen und Verletzungen schützen. Dazu gehört auch, sicherzustellen, dass die Behörden alle Angriffe auf Journalisten im Einklang mit internationalen Verpflichtungen zum Schutz der Sicherheit von Journalisten gründlich und schnell untersuchen. Demokratische Regierungen sollten ihr Engagement für die Gewährleistung der Sicherheit von Journalisten und Medienschaffenden deutlich machen, indem sie nationale Mechanismen zur Verbesserung der Sicherheit von Journalisten etablieren, wie z.B. den von den Niederlanden eingeführten PersVeilig (Press Safe)-Mechanismus.
- Multilaterale Institutionen und Mechanismen unterstützen, die Menschenrechte und Pressefreiheit verteidigen.
Multilaterale Institutionen und regionale Menschenrechtsgremien haben eine wichtige Rolle dabei gespielt, den Schutzraum für Pressefreiheit und freie Meinungsäußerung aufzubauen und zu bewahren, den die Menschen in Demokratien genießen. Für Journalisten in Demokratien mit schwacher Rechtsstaatlichkeit sind supranationale Institutionen wie der Afrikanische Gerichtshof für Menschen- und Völkerrechte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein entscheidendes letztes Mittel zur Verteidigung ihrer Rechte. Aber der Einfluss dieser Institutionen hängt von unserer Unterstützung für sie ab. Sie stehen unter größerem Druck als je zuvor – von Ländern, die sich weigern, verbindliche internationale Gerichtsurteile anzuerkennen, sowie von populistischen Bewegungen, die darauf abzielen, sie aus politischen Gründen zu untergraben. Demokratien müssen ihre Unterstützung für internationale und multilaterale Gremien und Verträge verstärken, die das Fundament der Meinungsfreiheit bilden. Das bedeutet auch, alle Staaten zur Rechenschaft zu ziehen, die ihren internationalen Verpflichtungen nicht nachkommen.
- Unterstützen Sie die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen, die die Pressefreiheit fördern und verteidigen.
Journalisten sind die Wächter der Demokratie. Aber zivilgesellschaftliche Organisationen sind die Wächter der Pressefreiheit. Ohne eine starke und funktionierende Zivilgesellschaft laufen Angriffe auf das Recht der Öffentlichkeit auf Information Gefahr, unbemerkt und unhinterfragt zu bleiben. Daher ist es wichtig, ihre Arbeit zu unterstützen. Regierungen müssen eng mit Gruppen der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die politische Praxis mit den Verpflichtungen zur freien Meinungsäußerung in Einklang steht und um gemeinsam globalen Bedrohungen des Journalismus entgegenzuwirken. Regierungen sollten auch Initiativen und Koalitionen unterstützen, die Meinungen der Zivilgesellschaft einbringen, wie die Council of Europe’s Platform on the Safety of Journalists, die Media Freedom Coalition, die Open Government Partnership und die Freedom Online Coalition.
- Förderung und Schutz der Pressefreiheit zu Kernelementen der Außenpolitik machen und andere Regierungen für Verbrechen gegen Journalisten oder Angriffe auf die Medien zur Rechenschaft ziehen.
Die Ermordung von Jamal Khashoggi hat die Augen für das saudische Regime geöffnet und für seine demokratischen Verbündeten, die trotz einer grausamen Menschenrechtsbilanz mit dem Königreich Geschäfte machen. Aber Saudi-Arabien ist nur ein Beispiel unter vielen. Das Versäumnis demokratischer Regierungen, eine konsequente Außenpolitik zur Verteidigung der Pressefreiheit und anderer Menschenrechte zu verfolgen, stärkt nicht nur autoritäre Verbündete. Es untergräbt die Glaubwürdigkeit ihrer ernsthaften Bemühungen, unabhängigen Journalismus anderswo zu unterstützen. Wachsender Illiberalismus und Autoritarismus erfordern, dass Demokratien mit einer prinzipientreuen Stimme die Grundrechte verteidigen und versuchen, alle Staaten, einschließlich befreundeter Staaten, für Angriffe auf die Presse zur Rechenschaft zu ziehen.
- Schaffung eines die Pressefreiheit unterstützenden Umfeldes.
Freie und pluralistische Medien sind ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Demokratien sollten konkrete Schritte für ein Umfeld gehen, das die Entwicklung pluralistischer, unabhängiger und nachhaltiger Medienökosysteme ermöglicht.