Die Partnerorganisationen der Media Freedom Rapid Response (MFRR) äußern heute ernsthafte Besorgnis über die Entscheidung des von Fidesz kontrollierten Medienrats – der mächtigen Medienregulierungsbehörde des Landes –, die Verlängerung der Frequenzlizenz des unabhängigen Senders Tilos Rádió zu blockieren.
Unsere Organisationen sind besorgt, dass diese Entscheidung ein weiterer unverhältnismäßiger Schritt des Medienrats zu sein scheint, dessen Mitglieder ausschließlich von der Regierungspartei nominiert und ernannt wurden, um eine weitere unabhängige Stimme aus dem Äther des Landes verdrängen und den Medienpluralismus weiter zu schwächen.
Wir stellen fest, dass die Entscheidung des Medienrats am 14. April getroffen wurde, kurz nachdem sich Premierminister Viktor Orbán und seine regierende Fidesz-Partei eine bislang einmalige vierte Amtszeit gesichert hatten. Dies war bereits mit zunehmender Sorge über die Zukunft der noch verbliebenen unabhängigen Medien im Land verbunden.
Tilos Rádió begann in den 1990er Jahren als Piratensender in Budapest und wurde der erste gemeinnützige unabhängige Radiosender Ungarns, was ihn zu einem Symbol der Pressefreiheit machte. Seit 2015 sendet Tilos Rádió auf der 90,3-MHz-Frequenz in Budapest, wo er kulturelle, soziale und politische Programme anbietet, die manchmal regierungskritisch sind.
Der Medienrat begründete seine Lizenzentscheidung damit, dass der Mediendienstanbieter des Senders, die Tilos Cultural Foundation, in einem Zeitraum von sieben Jahren seit 2015 viermal gegen gesetzliche Vorgaben in Bezug auf unangemessene Sprache verstoßen habe. Dies bedeutete, dass in 20.000 Sendestunden viermal unangemessene Sprache verwendet worden ist. Die Regulierungsbehörde verwies zudem auf zwei Versäumnisse, der Behörde Daten zur Verfügung zu stellen sowie zwei kleinere Unregelmäßigkeiten in Bezug auf Jahresberichte.
Tilos hat die Verstöße nicht bestritten, aber die plumpe Art der Entscheidung betont. Die 90,3-MHz-Lizenz des Senders läuft nun am 3. September 2022 aus und er wird dann verstummen. Die Staatliche Behörde für Medien und Nachrichtenübermittlung (NMHH) hat bereits angekündigt, dass sie erneut ausschreiben und versuchen wird, einen neuen Anbieter für die Frequenz zu finden.
Unsere Organisationen sind der Ansicht, dass die Entscheidung des Medienrats, die Verlängerung der Frequenz zu blockieren, unverhältnismäßig ist und auf zu weitreichenden Regulierungsbefugnissen beruht, die oft selektiv und politisch motiviert angewendet werden. Die festgestellten Verstöße stellen aus unserer Sicht keinen triftigen Grund dar, einem Radiosender die Lizenz zu entziehen. Sie werden den Medienpluralismus in Ungarn nur weiter schwächen.
Wir stellen auch fest, dass, auch wenn die Radiosender unterschiedlich sind, das Urteil jedoch deutliche Parallelen zu der diskriminierenden Entscheidung vom letzten Jahr aufweist, den letzten verbliebenen großen unabhängigen Radiosender des Landes, Klubrádió, aus dem Äther zu drängen. Mit einem Urteil, das die Europäische Kommission dazu veranlasste, ein Vertragsverletzungsverfahren wegen des Bruchs von EU-Recht in Hinblick auf Verhältnismäßigkeit, Transparenz und Nichtdiskriminierung einzuleiten.
Wie in einem kürzlich veröffentlichten Bericht des MFRR-Partners International Press Institute (IPI) dargelegt, hat die Regulierungsbehörde in den letzten zehn Jahren mangels geeigneter rechtlicher Vorgaben zur Wahrung der Unabhängigkeit des Medienrats das Mediengesetz dafür genutzt, Rundfunklizenzen von regierungskritischen Sendern willkürlich zu verweigern, um sie dann an regierungsunterstützende Eigentümer zu vergeben und so die regierungsfreundliche Ausrichtung des Medienökosystem des Landes weiter zu betreiben.
Wir fordern die die Regierung auf, die Unabhängigkeit der NMHH und ihres Exekutivorgans, des Medienrates, in Zukunft zu garantieren und Regulierungspraktiken, die darauf abzielen, unabhängige Medien zu marginalisieren oder sie vom Markt zu drängen, sofort einzustellen. Das Ausschreibungsverfahren für Radio- und Fernsehlizenzen muss ebenfalls entpolitisiert werden, um sicherzustellen, dass die Entscheidungen verhältnismäßig und maßvoll sind. Zudem sollte die problematische doppelköpfige Führungsstruktur der Regulierungsbehörde reformiert werden.
Nachdem die Europäische Kommission den längst überfälligen Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn auf den Weg gebracht hat, um die Werte der EU zu wahren, sollte sie die Arbeit und die Entscheidungen des Medienrats, die für die systematische Erosion des Medienpluralismus in den letzten zehn Jahren von entscheidender Bedeutung waren, genau unter die Lupe nehmen. Unsere Organisationen werden die Situation weiterhin beobachten und die Aufmerksamkeit auf alle zukünftigen problematischen Entscheidungen sowie auf die umfassenderen Herausforderungen für die Medienfreiheit in Ungarn lenken.
Gezeichnet:
ARTIKEL 19 Europa
Europäisches Zentrum für Presse- und Medienfreiheit (ECPMF)
Europäischer Journalistenverband (EFJ)
Free Press Unlimited (FPU)
Internationales Presseinstitut (IPI)
OBC Transeuropa (OBCT)
Diese Erklärung wurde von der Media Freedom Rapid Response (MFRR) koordiniert, einem europaweiten Mechanismus, der Verletzungen der Presse- und Medienfreiheit in EU-Mitgliedstaaten und Kandidatenländern verfolgt, überwacht und darauf reagiert.