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Das International Press Institute (IPI) schließt sich heute den unterzeichnenden Organisationen des Konsortiums Media Freedom Rapid Response (MFRR) an und warnt davor, dass die Ergebnisse eines neuen Berichts, der die Auswirkungen der Übernahme des regionalen Nachrichtenverlags Polska Press durch den staatlich kontrollierten polnischen Ölkonzern PKN Orlen bewertet, ein schockierendes Beispiel für die Vereinnahmung von Medien in der EU darstellen.

Der Bericht der Helsinki Foundation for Human Rights in Polen kommt zu dem Schluss, dass die Übernahme und die anschließende redaktionelle Säuberung von Polska Press durch Orlen im Dezember 2020 die Freiheiten von Journalisten eingeschränkt und zu einer Verschiebung der Meinungsmacht zugunsten der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) im Vorfeld der bevorstehenden Wahlen geführt hat.

Diese Ergebnisse, die auf mehreren Interviews mit aktuellen und ehemaligen Journalisten und Redakteuren ehemaliger Polska Press-Titel basieren, decken sich eng mit unseren eigenen Einschätzungen. Sie unterstreichen auch, wie sich die wiederholten Warnungen unserer Organisationen nach der Übernahme vor den nachteiligen Auswirkungen, die die Eigentümerschaft von Orlen auf den unabhängigen Journalismus in Polen haben würde, bewahrheitet haben.

Seit Orlen im Dezember 2020 die Leitung von Polens größtem Verlag für Regionalzeitungen übernommen hat, sind 14 der 15 regionalen Chefredakteure unter Druck zurückgetreten. Ihre Nachfolger kamen vom Staatssender oder von rechtsgerichteten Medientiteln, die die PiS unterstützen. Dem Bericht zufolge kündigten auch zahlreiche andere stellvertretende Redakteure und Journalisten aus Protest, so dass das neue Management neue Reporter ernennen konnte, oft aus politischen Erwägungen.

Obwohl die Erfahrungen zwischen verschiedenen Online- und Printtiteln unterschiedlich sind, stellt der Bericht fest, dass diese personellen Veränderungen zu einer allgemeinen Verschiebung der redaktionellen Ausrichtung im gesamten Netzwerk von Polska Press zugunsten der Regierungspartei geführt haben. In einigen Medien mag die Berichterstattung zwar nicht regierungsfreundlich sein, aber zumindest wurden alle kritischen Kommentare oder Berichte eingestellt, die der Partei oder ihren Führern schaden könnten.

Währenddessen ist die journalistische Berichterstattung über für die Regierung sensible Themen wie LGBTQ-Rechte und Migration weitgehend zurückgegangen, während die Positionen und Perspektiven der politischen Opposition in der Berichterstattung weitgehend an den Rand gedrängt wurden. Bei einigen Titeln haben sowohl die sanfte als auch die offene Zensur durch neue Redakteure und die Einmischung externer politischer Kräfte, die mit der Regierungskoalition in Verbindung stehen, deutlich zugenommen, was sich nachteilig auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieser Medien auswirkt.

Unsere Organisationen sind der Ansicht, dass die Übernahme von Polska Press durch Orlen eines der deutlichsten Beispiele für die Vereinnahmung von Medien in der Europäischen Union in den letzten Jahren ist. Durch diese Übernahme durch die staatlich kontrollierte Ölgesellschaft, die von einem engen Verbündeten der PiS-Führung geleitet wird, hat die Regierungspartei ihre Fähigkeit, Nachrichten und Meinungen im ganzen Land zu beeinflussen und zu kontrollieren, erheblich erhöht. Dieser Einfluss erstreckt sich auf 20 regionale Tageszeitungen, 120 Wochenmagazine und 500 Online-Portale und ist mit der systematische Übernahme regionaler Medien in Ungarn unter der Fidesz-Regierung vergleichbar.

Die Übernahme des größten regionalen Nachrichtenverlags des Landes zeigt auch deutliche Parallelen zur politischen Vereinnahmung des öffentlich-rechtlichen Senders Telewizja Polska (TVP) nach der Machtübernahme der PiS im Jahr 2015. Auch wenn der Mangel an Unabhängigkeit, der bei den Titeln von Polska Press zu beobachten ist, noch nicht mit der von TVP verbreiteten Parteipropaganda verglichen werden kann, schwächt er dennoch den Medienpluralismus in Polen erheblich und untergräbt das Recht der Bürger auf unvoreingenommene Informationen.

Die PiS hat immer behauptet, dass es bei ihrem Streben nach einer sogenannten “Repolonisierung” der Medienlandschaft darum geht, sicherzustellen, dass die Medien die nationalen Interessen Polens widerspiegeln und nicht die der im Ausland ansässigen Verlage. Der Fall Polska Press ist der bisher deutlichste Hinweis darauf, dass das Hauptziel dieser Politik in Wirklichkeit darin besteht, eine größere Kontrolle über die inländischen Medien zu erlangen und die kontinuierliche Unterstützung der eigenen politischen Interessen der Regierung sicherzustellen.

Die zunehmende Instrumentalisierung dieser Medientitel ist vor allem im Vorfeld der Parlamentswahlen im Herbst 2023 besorgniserregend, bei denen die Meinung der Wählerinnen und Wähler in der bedeutenden ländlichen Bevölkerung Polens entscheidend für den Wahlerfolg sein dürfte. Im Falle einer Genehmigung sollte die kürzlich vom Europäischen Parlament beantragte Wahlbeobachtungsmission in Polen im Rahmen ihrer Gesamtbewertung des Medienumfelds die Nachrichtenproduktion von Polska Press-Titeln während des Wahlzeitraums überprüfen.

Unsere Organisationen sind auch der Meinung, dass dieser Fall ein deutliches Beispiel dafür ist, dass die EU ein starkes und wirksames Gesetz zur Medienfreiheit (EMFA) verabschieden muss. Konkret rechtfertigt diese Übernahme die vorgeschlagene Einrichtung eines Europäischen Ausschusses, der sich aus Vertretern der nationalen Medienregulierungsbehörden zusammensetzt und solche Übernahmen in Zukunft prüfen und anfechten könnte, wenn er der Ansicht ist, dass der Medienpluralismus oder die Meinungsfreiheit gefährdet sind.

Hätte es ein solches Gremium gegeben, als dieser Deal im Februar 2021 von der Wettbewerbsbehörde UOKiK des Landes genehmigt wurde, hätte eine verstärkte internationale Kontrolle möglicherweise Auswirkungen auf die endgültige Entscheidung der Regulierungsbehörde gehabt oder zu konkreten Garantien und stärkeren Schutzmaßnahmen gegen politische Einflussnahme geführt.

Der Schaden, den PKN Orlen den journalistischen Freiheiten bereits zugefügt hat, ist offensichtlich. Wir appellieren daher auch an alle internationalen Investoren und Pensionsfonds, die behaupten, ethische Anlagerichtlinien zu befolgen, ihre Beziehung zum Unternehmen sorgfältig zu prüfen und dessen zersetzende Wirkung auf Medienpluralismus und demokratische Werte zu berücksichtigen.

Auch in Zukunft werden unsere Organisationen diesen Fall aufmerksam verfolgen und weiterhin vor den schädlichen Auswirkungen der Übernahme auf die Medienfreiheit warnen. Wir begrüßen den Bericht der Helsinki-Stiftung für Menschenrechte und werden weiterhin alle Bedrohungen für den unabhängigen Journalismus im Vorfeld der polnischen Parlamentswahlen genau beobachten und dokumentieren.

Gezeichnet:

International Press Institute (IPI)

Article 19 Europe

European Federation of Journalists (EFJ)

European Centre for Press and Media Freedom (ECPMF)

Click here to read the full Polish language report by the Helsinki Committee